Dauerregen schlägt auf das Gemüt.

Seit zwei Wochen bin ich schon nicht mehr geflogen.

Mein Lichtblick: Die Wetterprognosen für Freitag den 10.06.2016. Der Tag soll die einzige Chance für einen Streckenflug bieten. Am Wochenende: erneut Regen!

Die Vorhersagen entwickeln sich bis zum Freitag hin noch positiver, sie stimmen mich optimistisch. Thermikbeginn, Basishöhe, Bedeckungsgrad, Steigwerte. Gute Voraussetzungen für einen Flug Richtung Norden.

Ich wäge ab: Donnerstags auf eine berühmte Abendveranstaltung im Georg-Lanzenstiel-Haus am Münchner Kieferngarten, oder ein unvergesslicher Höhenrausch am Freitag.

Meine Entscheidung: Segelflug! - Natürlich.

Mit den üblichen Jungs nehme ich Kontakt auf, am Freitag hat aber niemand Zeit, alle sind wohl beim Arbeiten- während ich vom harten Studentenleben profitiere. Verzweifelt versuche ich noch telefonisch einen Schlepppiloten zu erreichen, aber bei dem Regenwetter scheint sich keine Menschenseele auf dem Flugplatz herumzutreiben. Erst beim letzten Flug ist ein Pilot samt Schleppflugzeug kurzfristig abgesprungen. Am späten Abend geht es noch im vollgepackten Mercedes von München ins Allgäu.

Am Freitagmorgen um 10 Uhr bin ich in Kempten auf den Flugplatz. Im noch durchnässten Gras baue ich den Flieger auf dem durchgeweichten Vorfeld alleine auf. An dem Tag bleibe ich der einzige Segelflieger der hier startet, überhaupt scheint sich an dem Tag kaum einer auf den Flugplatz zu trauen. Zuerst entwickeln sich im Norden und Westen die ersten Quellungen, dann auch im Osten über dem Kemptener Wald.

Fertig aufgebaut und erste Wolken am Himmel- es kann losgehen!

Um 11:30 Uhr rollt dann zum Glück doch eine Schleppmaschine vor. Immerhin hat sich Horst an dem Tag auf den Flugplatz verirrt und hilft mir beim Start- Danke! Auf der aufgeweichten Graspiste 25 hebt das leichte Gespann später, als gewohnt, ab. Beim Abflug über der Iller sind die Spuren der tagelangen Regenfälle noch zu erkennen: Das sonst grün-blau schimmernde Gebirgswasser ist heute trübe braun. Nach nur sechs Minuten Schleppflug klinke ich aus und zentriere den ersten Aufwind des Tages. Über den Hochmooren des Kemptener Waldes kann ich rasch bis auf 2200 m steigen.

Hinter der Schleppmaschine über die Iller, Richtung Norden über der Geburtsstätte der Grob-Flieger

Motiviert steuere ich den Segler auf Kurs Nord- Ost Richtung Kaufbeuren. Mein Tagesplan ist es, ein 300-400 km Dreieck Richtung Norden auf die schwäbische Alb zu fliegen. Bis kurz vor Kaufbeuren komme ich zügig voran.

Plötzlich jammert der Flugrechner über eine zu niedrige Batteriespannung. Ich bin mir aber sicher, zwei vollgeladene Akkus vor dem Start im Flieger verstaut und angeschlossen zu haben.

Wie konnte das passieren?

Genervt schalte ich zwischen den Spannungsquellen hin und her- Die zweite Batterie scheint überhaupt nicht zu funktionieren. Jetzt überfallen mich erste Zweifel, ob der geplante Flug noch gelingt.

Das darf nicht wahr sein! Der Tag hat vielversprechend begonnen.

Ohne Funk, E-Vario und Anflugrechner eine größere Strecke in einem bisher unbekannten Gebiet zu fliegen, ist zwar möglich, aber unnötig anstrengend und risikoreich.

In dem Moment erinnere ich mich an ein Video von Bruno Vassel. Der Amerikaner teilt seine Erlebnisse und Erfahrungen beim Segelflug sehr unterhaltsam, regelmäßig auf einer Videoplattform.

Er flog kürzlich ohne Batterie, nur mit Fahrtmesser, Höhenmesser und Kompass knapp 500 km weit. Ich hätte immerhin noch zusätzlich ein klassisches Variometer zur Hilfe, ich darf jetzt nur nicht umkehren oder aufgeben.

Direkt über einem Waldgebiet bei Kaufbeuren finde den nächsten Aufwind, schnell steige ich im starken Zentrum. Im stabilen Kreisflug klemme ich den Steuerknüppel zwischen meinen Oberschenkeln ein. Mit beiden freien Händen greife ich hinter die Kopfstütze und versuche blind die Batterien umzustecken. Nach etwas Gefummel kann ich das Problem endlich lösen.

Übeltäter waren eine kaputte Batterie und das derart schwergängige Stecksystem, welches den Kontakt zur funktionierenden Batterie unterbrach. Nun konnte ich mit der noch vollgeladenen und korrekt eingesteckten Batterie wieder beidhändig weiterfliegen. Jetzt kann ich mich wieder voll aufs Fliegen konzentrieren.

Bald lasse ich Bad Wörishofen und Mindelheim hinter mir- hangle mich so von Flugplatz zu Flugplatz. Immer wieder finde ich Anzeichen von Aufwinden, das Steigen kommt und geht unregelmäßig, die Höhe schmilzt aber stetig dahin. Zum Glück fällt das Gelände hier gleichmäßig ab, sodass meine Höhe über Grund fast erhalten bleibt. Schon einmal dieses Jahr bin ich bis Thannhausen geflogen, dort dann aber schon Richtung Westen

abgebogen. Heute will ich weiter Richtung Norden fliegen. Bis auf die schwäbische Alb, wo immer sehr gute Thermik herrschen soll.

Genau ab dem Punkt, beim Verlassen meiner bekannten Komfortzone und dem Fliegen in neuen und unbekannten Gebieten, beginnt für mich das eigentliche Abenteuer Segelflug.

Einige Flüge, die ich im Vorfeld analysiert hatte, zeigen, dass der Abschnitt bis zur Donau eine Durststrecke sein kann- das erfahre ich heute zum ersten Mal am eigenen Leibe. Südlich des Kernkraftwerks Grundremmingen finde ich erstmals wieder kräftige, aber zerrissene und ungleichmäßige Aufwinde bis auf 1650 m.

Zielstrebig fliege ich weiter über die A8 und die Donau. Die Dampfwolken über den mächtigen Kühltürmen des Kraftwerks zeigen mir den leichten Nordwind, gegen den ich heute fliegen muss.

Über die A8, weiter in Norden. Im 2 m/s Aufwind westlich von Grundremmingen

Nördlich der Donau, über dem Gundelfinger Moos finde ich nun wieder erste verlässliche und ruhige Aufwinde, die mich zurück auf auf 1750 m klettern lassen. Hier sind die Wolken sehr schön und deutlich gezeichnet, sodass die Aufwinde zielstrebig angeflogen werden können. Dort findet auch der erste markante Anstieg auf die schwäbische Alb von etwa 430 m auf über 530 m Geländehöhe statt. Süd-westlich von Giengen an der Brenz, und dem Eselburger Tal überquere ich die A7.

Die schnelle landschaftliche Änderung beim Weg auf die Alb ist absolut faszinierend: Innerhalb weniger Kilometer erreicht man von den großen Moosen an der Donau um Gundelfingen und Leipheim aus die zahlreichen typischen Hochplateaus und die angrenzenden engen Täler der schwäbischen Alb.

Auf dem Abschnitt nach Heidenheim an der Brenz erkenne ich weitere Segelflieger und halte auf sie zu. Zusammen steigen wir unter den dunklen Wolken im kräftigen Aufwind auf 2100 m, während das Gelände hier noch weiter bis auf fast 650 m Höhe ansteigt. Weiter im Nord- Osten beobachte ich die schon zerfallenden und breitlaufenden Wolken.

Kurz vor 14 Uhr entscheide ich mich südlich von Königsbronn zur ersten Wende, von dort soll es anschließend, immer nördlich der Donau, möglichst weit Richtung Süd-Westen gehen. Die zuverlässigen und gleichmäßig aufgereihten Wolken mit ihren Aufwinden und die zahlreichen Segelflugplätze und Außenlandefelder im Gleitbereich des Fliegers machen das Segeln zum Genuss. Schäfhalde und Gerstetten ziehen an mir vorbei. Die Steinbrüche und Kiesgruben im Norden von Ulm sind heute zuverlässige Thermikquellen und ermöglichen den Flug in komfortabler Höhe. Regelmäßig kann ich mit 2 bis 3 m/s steigen. Zwischen den Aufwinden fliege ich jetzt immer schneller. In Blaubeuren herscht am frühen Freitagnachmittag bereits Hochbetrieb. Ich beobachte beim Vorbeiflug wie die Schleppmaschinen einen Segelflieger nach dem anderen in die Luft bringen. Wer heute im Segelflieger unterwegs ist, kann sich glücklich schätzen- in jeder Hinsicht: ein toller Start ins Wochenende.

Abflug: Vorbei am AKW Grundremmingen und über die Donau.. Hebrechtingen und Heidenheim an der Brenz.

Südlich von meinem Kurs schlängelt sich die Donau immer enger in den schmalen Tälern flussaufwärts. An zahlreichen Stellen erkennt man deutlich die überfluteten Flussauen und die angrenzenden feuchten und saftig grünen Wiesen. 

Vorbei am Segelfluggelände Schäfhalde, Heidenheim an der Brenz, Schloss Werenwag an der Donau, Schwenningen im Hintergrund

Westlich von Ehingen erkenne ich schon den markanten Taleinschnitt Richtung Norden bei Zwiefalten. Hier muss ich an die guten Schnitzel, die es dort in der Brauereigaststätte gibt, denken- bei mir gibt’s heute an Bord zwar nur Käse- und Wurstbrote, Äpfel und Birnen- das schmeckt aber auch gut.

Bei Riedlingen sehe ich einen doppelsitzigen Duo Discus und mehrere einsitzige Segelflieger im Steilkreis unter einer Wolke. Entschlossen halte ich Kurs auf den Pulk und fliege nicht mehr langsamer als 140 km/h. Nach Norden stellt hier eine steile Waldkante die Stufe auf die erste Hochebene dar - mit über 3 m/s steige ich unter den anderen hinauf zur dunklen Wolkenuntergrenze. Während die ersten Einsitzer die Wolke über mir

verlassen, um Richtung Sigmaringen weiterzufliegen, bestätigt das meinen eigenen Plan: unter den dicht aufgereihten, scharf gezeichneten Wolken soll es weiter Richtung Sigmaringen und Leibertingen gehen.

Immer wieder kontrolliere ich die Uhrzeit: es ist nun 15:15 Uhr und die Wolkenoptik Richtung Heimweg sieht nicht mehr vielversprechend aus. Süd- östlich von Mengen stehen nur noch wenige einzelne Wolken. In einer Stunde wird hier vermutlich alles abgetrocknet sein- der Himmel ist dann komplett blau und wolkenlos.

Weiter Richtung Westen hingegen hat sich eine regelrechte Rennstrecke vor mir aufgebaut. Das Kollisionswarngerät informiert mich durchgehend über den Verkehr im Luftraum, mein Blick wandert ständig hin und her entlang des Horizonts. Dicht unter den Wolken kann ich bei 140 Km/h im Vorflug mit der leichten LS4 immer noch steigen. Regelmäßig überholen mich hier die Geschosse der Offenen Klasse, oder mir kommen die deutlich schnelleren 15m Rennklasse Segelflieger entgegen. Der Streckenabschnitt erfordert volle Konzentration hinsichtlich der Luftraumbeobachtung. Annäherungsgeschwindigkeiten von über 300 Km/h zu entgegenkommenden Segelfliegern sind keine Seltenheit. In wenigen Augenblicken werden die anfangs als kleine Punkte erscheinenden Flieger, bedrohlich groß. Über viele Kilometer drehe ich nur im allerbesten Steigen wenige Kreise, ansonsten fliege ich ausschließlich geradeaus. Sobald die Steigwerte über 2 m/s erreichen, verlangsame ich lediglich den Segler und steige dann wie ein Ballon. Anschließend drücke ich die Nase wieder unter den Horizont und beschleunige, um die sinkenden Luftmassen schnell zu durchfliegen: Delphinflugstil.

Obwohl ich so vielleicht sogar bis zum Klippeneck kommen würde und so über 400 Km weit fliegen könnte, behalte ich die Bedingungen für den anstehenden Heimflug im Hinterkopf.

Von hier aus kenne ich den Rückflug nach Kempten von meinem Flug zum Klippeneck zwar, aber mir ist auch bekannt, dass dieser jetzt durch die abtrocknenden Luftmassen und Blauthermik anspruchsvoll sein kann- umso später ich hier fliegen werde, desto schwieriger.

Um 15:30 Uhr erreiche ich den Flugplatz Leibertingen, der gelbe Motorsegler vor der Flugzeughalle markiert das sonst unscheinbare Flugfeld. Hier kreise ich ein letztes Mal zur Wolkenbasis bis auf 2000 m, bevor ich meine zweite Wende mache. Bis Mengen kann ich wieder im schnellen Vorflug unter der gleichen Wolkenstraße fliegen. Direkt über dem riesigen Flugplatzareal kann ich bis auf 2100 m steigen. Ab hier biege ich Richtung Süd-Ost ab und visiere als nächstes Bad Saulgau an. Meine Höhe erlaubt mir eine große Gleitstrecke zu überwinden und gibt mehr Optionen, Aufwinde auf meinem Kurs zu finden. Deutlich südlich des Federsees fliege ich Richtung Aulendorf. Direkt über der Stadt markiert eine der letzten Wolken am Himmel den Aufwind bis auf 2100 m. Die Waldgebiete bei Bad Waldsee spendieren auch am Nachmittag noch gute Thermik und lassen mich, ohne markierende Wolken, in der Blauthermik bis auf 2200 m steigen. Ab hier erscheint mir der Heimweg dann so gut wie gesichert und mir wird erneut bewusst, wieviel schneller und sicherer man in Gebieten, in denen man zuvor schon einige Male geflogen ist, unterwegs ist. Wenn ich über dem Moor bei Bad Wurzach kein Steigen finde, fliege ich direkt bis zu den Waldhängen um das Schloss Zeil bei Leutkirch. Diese haben mich bisher immer zuverlässig hinaufgetragen.

In der Thermik über dem Wurzacher Moor kann ich dann doch noch bis auf 2150 m steigen, beim Schloss Zeil gewinne ich in ruppiger Thermik zusätzliche 100 m.

Jetzt brauche ich noch zwei gute Aufwinde, um nach Kempten gleiten zu können. Bewusst halte ich mich auf dem letzten Abschnitt von Leutkirch nach Kempten relativ weit östlich, um nicht in die Lee-Abwinde von Schwarzem Grat und Adelegg zu geraten. Bei meinem ersten Flug zum Klippeneck hat mich der Fehler weiter westlich, über das Rimpacher Moos zu fliegen, die Landung in Isny und den Rückschlepp nach Kempten gekostet.

Direkt über der Stadt Leutkirch geht es noch einmal auf 2100 m hinauf, anschließend folge ich einer tragenden Linie, bis ich über den ersten Anhöhen des Schwarzen Grat auf 2200 m kreisen kann. Der Heimweg ist nun gesichert- aber ich kann heute nicht genug bekommen: Im sicheren Gleitbereich vom Startflugplatz Kempten fliege ich weiter Richtung Süden.

Letzte Wolken markieren den Heimweg, Landung im frisch gemähtem Gras nach knapp 6h Flug

Über dem Ufer des Niedersonthofener Sees kreise ich geduldig in schwacher Thermik bis auf 2000 m, dann richte ich auf und peile den Gipfel des Grünten an. Über dem Fels drehe ich noch einige Kreise und beobachte die Wanderer am Gipfelkreuz. Einige winken zur Begrüßung. Ich lasse den Flieger kurz abtauchen und jage anschließend mit 150 Km/h mühelos, am Grat entlang - zur Verabschiedung!

Dann lege ich meinen Kopf zurück ins weiche Fellkissen des Fliegers. Nach fünfeinhalb Stunden Flug fühle ich mich wie verschmolzen mit dem Segler, wenn ich links hinaus schaue und lautlos über den Rottachspeicher ziehe, fühlt es sich an, als ob der schlanke Flügel in direkter Verlängerung aus meiner Schulter wächst. Die letzten Augenblicke des Fluges drehe ich weite, flache Kreise über dem Flugplatz. Dann entriegle ich Fahrwerk und Landeklappen und konzentriere mich noch ein letztes Mal auf die Landung. Nach fast 5:45 h hat mein Flug heute ein Ende. Ich lasse den Flieger bis zum Stillstand ausrollen, dann lege ich den Flügel sanft ins Gras. Kurz schließe ich die Augen, bevor ich mich mit beiden Armen aus dem Liegesitz, in den ich tief gesunken war, herausstemme. Etwas benommen und noch wackelig laufe ich zum Wagen. Anschließend ziehe ich den Flieger zum Anhänger und baue zufrieden ab.

Mit 375 km mein bisher weitester Flug- mir fehlen nur 25 km zum ersten Flug über 400 km. Bewusst versuche ich beim Segelfliegen seit dieser Saison bei jedem Flug meine Komfortzone zu verlassen, um meinen Horizont zu erweitern, Neues zu entdecken und so unvergessliche Abenteuer zu erleben.

06.10.2016 Dorian Liebsch

Im nächsten Bericht:

Erste Erfahrungen beim Alpensegelflug mit Wasserballast- LS4 on steroids!

Der Flug: Durststrecke (blau), Rennstrecke (rot)

Auswahl an erprobten Routen für Streckenflüge von Kempten Richtung Norden. Bisher bin ich die Dreiecke immer entgegen dem Uhrzeigersinn, links herum geflogen. Je nach Wind kann es aber sinnvoll sein, die Richtung so zu wählen, dass der längste Schenkel mit Rückenwind geflogen wird.

Route A (grün) ca. 200 km,

Route B (rot) ca. 250 km

Route C (lila, blau) ca. 350 km , 375 km

 

Nächste Ziele: Route D (gelb). 400 km+, ausbaufähig nach Westen mit Erkundung des Schwarzwalds.