Mein Plan eine Dreieckstrecke auf der schwäbischen Alb, zwischen Klippeneck und Aalen zu fliegen, steht zwar nach meinem letzten Versuch mit Außenlandung auf einem Acker bei Bad Wurzach immer noch, doch am 19.07.2018 locken die Alpen zur sehr. Einige Eindrücke dieser Verlockung schildert folgender Bericht.

Bereits um 9 Uhr stehen erste Quellungen über den Gipfeln der Allgäuer Alpen. An solchen Hochsommertagen ist das Engadin mit hoher Wolkenbasis und guten Steigwerten ein prädestiniertes Fluggebiet und Ziel alpiner Streckenflüge. Aufgrund der eingeschränkten Verfügbarkeit von Schleppmaschine und Pilot, starte ich leider erst um 10:45 Uhr. Zehn Minuten später liegt die LS4 dann schon sanft im Linkskreis- zuverlässiges Steigen am Wertacher Hörnle bringt mich an die Wolkenbasis auf 2500 m. Zielstrebig fliege ich nach Süden Richtung Lechtal. Bis zur Hornbachkette drehe ich nur wenige Kreise - zögere dann mit der Lechtalquerung und taste zuerst die Rippen westwärts ab. Nördlich von Steeg trägt die Thermik bis auf 3000 m. Im Geradeausflug geht es zwischen Arlberg und Landeck über das Stanzer Tal. Unter den Wolken an der Vorderseespitze erreiche ich 3400 m. Hier sind die Aufwinde zuverlässig und durch Wolken gut gezeichnet.

Im Gleitflug ziehe ich kreislos über das scheinbar aufwindlose Verwall. Bis zur Querung des Paznauntals verliere ich viel Höhe. Die über 3000 m hohen Gipfel der Samnaungruppe wirken immer mächtiger. Inzwischen bin ich auf 2800 m gesunken, der direkte Überflug zu den Sonnenhängen der Südseite ist nicht mehr möglich. Einzige Möglichkeit zum Weiterflug und Alternative zum Umdrehen: das Ausweichen nach Osten- Richtung Landeck, dorthin fällt der Gebirgszug gleichmäßig ab. Im flachen Winkel peile ich über das Instrumentenbrett und hole soweit aus, dass ich knapp über dem Fels auf die Südseite gleiten kann. Wenig später ziehe ich den Segler mit Überfahrt am Fels vorbei. Vorsichtig und gespannt auf jede Luftbewegung taste ich den Südhang ab. Besonders die Einschnitte und Felsvorsprünge mit Ostausrichtung scheinen zu dieser Tageszeit in Verbindung mit dem Hangaufwind gute Thermikauslöser zu sein. Am Rotpleiskopf bei Serfaus dann finde ich den ersehnten Aufwind bis auf 3400 m.

Über die Silvretta ins Unterengadin, in der Bildmitte Piz Linard

In komfortabler Höhe unter den schatten-spendenden Wolken angekommen, geht es zügig das obere Inntal entlang: vorbei an Pfunds und dem Reschensee im Süden, weiter Richtung Unterengadin. Die Wolkenbasis steigt kontinuierlich auf 3800 m an. Über den Hängen der nördlichen Talseite fliegend, lasse ich schnell Schuls hinter mir und steuere Richtung Zernez. Die große Flughöhe erlaubt die Abkürzung direkt über die Piz Nuna.

Vorbei am Knick des Tals bei Zernez zeigt sich das Oberengadin von seiner besten Seite: hohe Wolken und die atemberaubende Sicht nach Süden das Tal entlang über den Flugplatz Samedan, St. Moritz, Silvaplana und Silser See liegen vor mir. All das umgeben von den bekannten hohen Gipfeln, Julier und die markante Berninagruppe als einziger Viertausender der Ostalpen.

Im Funk höre ich, dass die Sperrzone des Schießgebietes heute trotz Werktag nicht aktiv ist. Bei meinem ersten Flug einen Monat zuvor bin ich bei den Talquerungen und niedrigerer Wolkenbasis noch unsicher und drehe am Piz Quattervals, bei aktivem Schießgebiet, um. Heute aber verraten bereits die Stimmen der Segelflieger auf der Frequenz alle ein Grinsen im Gesicht- Die Sperrzone ist nicht aktiv, in der Luft hier im Oberengadin ist jetzt Hochbetrieb bei besten Flugbedingungen.

Die Talquerungen sind aus einer Flughöhe von über 4000 m ein Leichtes. Wolken und viele andere Segelflieger markieren die Aufwinde. Neugierig wechsle ich die Talseite Richtung Westen, zur Mittagszeit heizt die Sonne hier den schroffen Fels ideal auf.

Corvatsch mit Silavaplana und Silser See

Im Zick-Zack springe ich von Wolke zu Wolke, bei St. Moritz wechsle ich erneut die Talseite. Im Bann der Gletscher halte ich direkt auf den höchsten Punkt zu- den Biancograt. Für erfahrene Alpinisten zu Fuß eine zehnstündige Tour. Für mich im Segelflieger- scheinbar mühelos, innerhalb weniger Minuten trägt mich der starke Aufwind über die Gipfel, während ich die Furchen beobachte, welche die Gletscher mit unfassbaren Eismassen in den Fels gezogen habe.

Blick in Osten über den Lago Bianco nach Italien

Im Osten markiert der türkis schimmernde Lago Bianco den Taleinschnitt Richtung Italien. Bis auf 4100 m steige ich über dem nur scheinbar ewigen Eis und kann flach über den Gipfel (4047 m) Richtung Süden nach Italien blicken- von dort aus stauen sich die Wolken am Massiv auf. Kurz nach 13 Uhr entscheide mich bei besten Bedingungen zur Wende und folge auf dem Rückflug den tragenden Linien, die ich mir während des Hinflugs versuche einzuprägen.

Gletscher aus ewigem Eis

 

Der Biancograt

Ziel ist es jetzt noch ostwärts bis zum Achensee zu fliegen. Bei Zernez erreiche ich mit 4200 m die größte Höhe des gesamten Flugs, weiter geht es durch das obere Inntal vorbei an Landeck und Imst. Ohne Kreis fliege ich entlang des abfallenden Geländes dicht unter der Wolkenbasis nicht mehr langsamer als 130 km/h. Ich ärgere mich, kein Wasserballast im Flügel zu haben.

Rückweg: Unterengadin Richtung Osten

Zuverlässig, aber turbulenter Hangaufwind wartet an den Miemingern. Der weiche Flügel dämpft die unruhige Luftmasse komfortabel. Nur am letzten Gipfel, der hohen Munde drehe ich wenige Kreise, die Varionadel steht am oberen Anschlag. Jetzt kann die Gleitstrecke über den Seefelder-Sattel sicher überwunden werden. Geländenah entscheide ich mich querab von Innsbruck die Inntal-Nordkette zur verlassen, um direkt durch das Karwendel zum Achensee zu fliegen.

Vorbei an Innsbruck

Die Bewölkung wird immer dichter, bis sie schließlich an den östlichen Gipfeln des Karwendels kurz vor dem Achensee komplett aufliegt und mir den Weiterflug versperrt. Um 15:30 Uhr drehe ich um.

Weiterflug unmöglich- Wende östlich Achensee im Karwendel

Die Nordkette entlang die gleiche Route Richtung Westen. Bei Nassereith schwenke ich den Segler auf Nord-Westkurs, vorbei am Thaneller nocheinmal über das Lechtal. Die Gleitstrecke nach Kempten ist sicher. Am Ostufer des Rottachspeichers kreise ich ein letztes Mal auf 2300 m, das erlaubt mir den Gleitflug bis kurz vor Kaufbeuren zu verlängern, um dann zum Heimatfluplatz umzudrehen. In 700 m Höhe überfliege ich den Flugplatz und peile den Ausklinkpunkt an, die letzte Wende. Ich lasse den Flieger abtauchen, im Schnellflug zieht das Ufer des Rottachsees in der frühen Abendsonne unter mir vorbei- ein Genuss. Kurz nach 18 Uhr, knapp siebeneinhalb Stunden im Segelflug, rolle ich auf der Bahn 07 aus. Der Erdboden hat mich wieder.

Das sind nur wenige Eindrücke eines Alpenflugs in Worte gefasst- ein Bruchteil des Möglichen, was uns die Natur mit Bergen und Sonne, nahezu unendlichen Möglichkeiten und Abenteuern beim Überlandflug im Segelflieger bietet.

Dank all denen, die das ermöglichen.

Dorian Liebsch, 07.09.2018