Bereits am Anfang der ersten Maiwoche wird deutlich, dass in den folgenden Tagen mit einer guten Streckenflug-Wetterlage in den Alpen zu rechnen sein wird. Mein Plan war demnach am Dienstagabend schon ins Allgäu zu fahren, um am Mittwoch starbereit zu sein. Das Champions-League Halbfinale sorgt jedoch für absolutes Verkehrschaos in München- ich stecke abends fest, verpasse den letzten Zug ins Allgäu. Also bleibt es mir nur noch übrig den restlichen Abend die optimistischen Wetteraussichten für die Folgetage zu bestaunen und mögliche Flugrouten zu studieren. Eigentlich wollte ich nochmal einen Versuch zu einem Zielrückflug zum Klippeneck oder ein Dreieck über Mengen und Ulm, unternehmen. Am Mittwochmittag an Kempten vorbeifahrend bin ich erleichtert, die Luft war noch deutlich zu feucht. Wässrige Wolken hängen mit tiefer Basis im Voralpenland fest. Noch habe ich nichts verpasst. Am Donnerstag starte ich mit der LS4 an der Winde, starker, böiger Ostwind und ein flauer Magen hindern mich daran auf Strecke zu gehen. Es kann nur besser werden!

Erst am Freitag sollte endlich alles passen: Der Ostwind hat deutlich nachgelassen, ordentliches Frühstück und an Proviant für unterwegs habe ich auch gedacht- der flaue Magen gestern hat mir gereicht. Bereits um 10:30 Uhr gehen die ersten Streckenflieger an den Start. Das einzige Problem sollte ein startbereites Segelflugzeug sein. Bei allen Vereinsfliegern stehen die Jahresnachprüfungen an - das dauert. Zum Glück wird die LS4 gleich als zweiter Flieger an diesem Tag geprüft. Ich bin schon in den Startlöchern als der Prüfer die segnenden Stempel in die Flugzeugpapiere drückt. Als vorletzter im Feld starte ich erst um 13:30 Uhr im F-Schlepp. Nach mir startet noch Ralf im Discus. Nach zehn Minuten trenne ich mich westlich des Wertacher Hörnles von der Piper.

Bereits nach wenigen Kreisen kann ich den 2 m/s Aufwind ordentlich zentrieren und bis auf 2700 m steigen. Südlich des Oberjochs steige ich nochmals weiter auf 3000 m. Dann drehe ich die LS4 auf Ostkurs und segle südlich des Tannheimer Tals entlang.

Auf Ostkurs: Blick in den Süden, Lechtal voraus.

Auf Höhe des Haldensees kann ich nun schon weiter auf 3100 m steigen, von dort aus fliege ich zügig ohne einen Kreis über das Lechtal. Etwas nördlich vom Plansee markiert ein Starflügler den Bart- schnell kann ich über ihm einsteigen und dort einige Höhenmeter gewinnen. Weiter über dem südlichen Ammergebirge gleite ich bis Farchant vor. Westlich der Stadt treffe ich nur 0,7 m/s Steigen über einem Bergrücken an, ich hatte mir mehr erhofft, war offensichtlich schon zu verwöhnt. Nach einigen Minuten der Enttäuschung fliege ich mit der Hoffnung auf einen stärkeren Aufwind weiter. Einige Kilometer voraus im Osten sind schon der Walchensee und die Ursprünge der Isar zu erkennen.

Walchensee und Isar, Inntal voraus.

Das Zugspitzmassiv im Süden wirkt immer mächtiger, inzwischen bin ich bis auf 2600 m gesunken. Immer mehr merke ich, wie entspannt und komfortabel es ist, hier auf 3000 m oder mehr zu segeln, wieviel mehr Handlungsspielraum solch eine Höhe bietet. Aber die Hoffnung lässt nicht lang auf sich warten: Im Tal zwischen Garmisch und Mittenwald trohnt eine mächtige, hohe und schon dunkle Wolke. Die muss es sein!

Tatsächlich sollte diese die besten Steigwerte des Tages liefern. Klassisch treffen mich erst große Turbulenz und erhöhtes Sinken. Dann bestätigt aber auch das Vario mit Vollausschlägen, die bereits mit dem Hosenbodengefühl registrierte, enorme Stärke des Aufwindes. Schnell kann ich über 4 m/s integriertes Steigen zentrieren. Ein Hochgefühl.

Angekommen im Fahrstuhl zur Wolke hinauf gönne mir im angenehmen Schatten ein deftiges Vesper. Wurst- und Käsebrote schmecken auf über 3000 m einfach am besten! Nach wenigen Minuten verlasse ich die Wolke fast 1000 m höher. In 3500 m segle ich nördlich an Innsbruck vorbei, weiter ostwärts. Westlich des Lamsenjochs tanke ich noch einmal 100 m Höhe. Voraus glitzert der Achensee bereits in der Mittagssonne, das Inntal wird nun immer weitläufiger. Man erkennt deutlich welchen Weg die längst abgeschmolzen Eismassen der Gletscher gewählt haben, dort vereinigen sich heute die Flüsse Inn und Ziller.

Blick in Süden: Inntal und Zillertal, über dem Achensee.

Über dem Achensee bin ich in Luftlinie etwa 100 km vom Startplatz entfernt. Weiter ostwärts querab von Steinberg am Rofan wende ich die LS4 entschlossen.

Zurück auf Westkurs. Nocheinmal drehe ich einige Kreise im Steigen über dem schmalen Streifen zwischen Ufer des Achensees und den steil ansteigenden umgebenden Bergen. Hier soll sich auch ein Außenlandefeld

befinden- das brauche ich heute zum Glück nicht. Bis Mittenwald fliege ich auf dem Rückweg eine etwas nördlichere Route über dem Karwendel Gebirge. Tief unter mir erkenne ich einen Astir, der mühsam am Hang achtet- mit ihm will ich jetzt nicht tauschen. Kurz vor Garmisch schnappe mir wieder den Lift unter der Wolke bis auf 3500 m.

Über einem Grat östlich von Stanzach im Lechtal, lege ich die LS4 in den Kreisflug und kann mit wenig Korrektur wieder bis zur Wolkenbasis klettern. Mit 130 km/h gleite ich bis zur Hammerspitze südlich von Oberstdorf dort ist die Turbulenz in der Luft zwar groß, ich kann allerdings kein rundes Steigen ausmachen. Die immer noch komfortable Höhe erlaubt es mir noch weiter westwärts zu fliegen, der Hohe Ifen und Gottesacker ziehen unter mir vorbei. Am Horizont im Norden steht jetzt der Bodensee.

Westkurs: Blick in Süden, Gottesacker und Bodensee am Horizont.

Die Anflughöhe auf den Flugplatz Kempten schmilzt stetig dahin, meine letzte Chance für den Weiterflug Richtung Westen, ohne den sicheren Heimweg zu riskieren, sind einige Wolkenfetzen über dem Fels des Diedamskopfs. Mühsam steige ich dort auf knapp 3000 m hinauf. Entschieden wende ich erneut und visiere das Nebelhorn an. Hier kurble ich im Steilkreis hinauf, bis die sichere Endanflughöhe auf Kempten wieder erreicht ist. Inzwischen ist es schon 17:40 Uhr, die Luft wird jetzt immer ruhiger, im Funk höre ich, wie sich die früher gestarteten Streckenflieger teilweise schon zur Landung melden. Vor mir liegen jetzt 35 km langes, entspanntes Abgleiten durch das Oberstdorfer Tal und am Grünten vorbei. Die Sonne steht zu dieser Uhzreit direkt über dem Alpsee bei Immenstadt.

Vorbei an Alpsee und Grünten.

Zeit um sich im bequemen Cockpit zurück zu lehnen, die tolle, vorbeiziehende Landschaft zu genießen und das rege Treiben der Motorflieger am Flugplatz aus der Ferne zu beobachten. Nördlich von Buchenberg wende ich den Flieger heute ein letztes Mal und fliege direkten Kurs zum Flugplatz. Immer wieder bewundere ich die Gleitleistung des Fliegers in ruhiger Luft und die Präzision der Instrumente, besonders des Anflugrechners. Wie errechnet, genau 500 m über dem Platz komme ich an. Mit ausgefahrenem Fahrwerk und entriegelten Klappen drehe ich die letzten Kreise direkt über dem Flugplatz und tauche in die Platzrunde. Um kurz nach 18 Uhr setzte die LS4, nach knapp viereinhalb Stunden Flug, wieder sanft ins frisch gemähte Gras der Bahn 07.

Wack erzählt mir abends, dass er mit Seiner Libelle auch am Achensee war. Leider haben wir uns dort nicht getroffen. Am Ende des Fluges wäre es sinnvoller gewesen, wie Wack es auch tat, weiter südlich zu bleiben, zum Arlberg oder weiter, weg vom stabilisierenden Bodensee.

Beim nächsten Mal!

Trotzdem war das mein bisher weitester und schellster Flug. Wichtiger aber: Der Flug hat mir persönlich eine vollkommen neue Dimension und den Einstieg in den Alpensegelflug mit all seinen Reizen gezeigt. Danke an alle die mir den Segelflug ermöglichen!

13.05.2016 Dorian Liebsch